SWEET AMBER (1)

Im kalten, matten Licht der billigen Neonlichter wirkte der Alkohol nicht so gefährlich. Also nahm er wieder sein Glas, schenkte ein und kippte es runter. Mit dem rechten Arm wischte er sich über den Mund. Dann hustete er. „Verdammt.“ Nur dieses eine Wort und dennoch war es genug. Er hatte verloren, die Zeit war abgelaufen, die Nacht war frisch, und Entscheidungen drängten. Dennoch vermochte er noch immer nicht sagen, welchen Weg er nehmen würde. Nach Süden zur Brücke, nach Westen zu ihr oder gar Richtung Felton, fort von hier. Aber in seinem Kopf schwirrte sie wie ein unruhiger Schmetterling. Amber, die Liebe, die ihn so verrückt machte. Amber, die ihn verführte wie Honig einen Bären besinnungslos machte. Er war nicht der einzige Gast hier in der Spielunke aber alle Augen ruhten auf ihm. Zumindest für den Moment. Glas für Glas brachte er sich seiner Zerstörung nahe. Der Barkeeper hatte ihn vor Stunden gewarnt, worauf er die Flasche an sich gerissen hatte. „Ich trinke soviel wie ich will!“ Dann hatte er all sein Geld auf die Theke geworfen. Die Münzen spiegelten matt. Blutgeld dachten sie, aber er war kein Killer, noch nicht. Sein Blick wanderte von der Theke zu den Gästen. Mit wackligen Schritten positionierte er sich so, dass er sie alle sah. Er lehnte wie ein Mehlsack gegen die Theke, musste immer wieder mit den Händen Halt suchen. In ihren Gesichtern erkannte er Abscheu, Bedauern und Langeweile. Der Barkeeper versteckte schnell die Gläser. „Randolf Clayton“, dröhnte es plötzlich in seinem Schädel. Benommen und trunken versuchte er die Stimme unter den Gästen auszumachen. Doch sie ignorierten ihn mittlerweile. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass die Zeit plötzlich schneller wegtickte, als ihm lieb war. „.. ziemlich angeschlagen.“ Dieses Mal war die Stimme hinter ihm. Er brauchte einige unruhige Atemzüge, bis ihm klar wurde, der Barkeeper sprach zu dem Unbekannten, der ihn beim Namen gerufen hatte. Was ging hier vor? Er blinzelte und schrak zusammen, als die Fremde vor ihm stand. Er konnte schwarze Haare ausmachen, doch die Augen waren darunter verborgen. Sie trug eine Jeansjacke die schon bessere Tage gesehen hatte, wie auch die Hose und in ihrem Atem schwang Minze mit. „Pfefferminzlikör?“, fragte er mehr sich selbst. Wieder die Stimme: „Mr. Clayton ist gesucht in 15 Bundesstaaten. Wegen Mordes,“ „Nein!“, stöhnte er und schuppste die Unbekannte Gestalt weg oder besser er wollte es, aber da war niemand. Im nächsten Augenblick, als er mit gehetzten Blicken sich versuchte zu orientieren, wurde ihm klar etwas lief verdammt schief! Um ihn war nur Dunkelheit, die sich an ihn drängte wie ein dunkles Leichentuch. Er lag auf einer harten Pritsche, doch auch wenn er dachte, er sei zurück im Gefängnis, konnte er statt Eisenstäbe nur graue, leere Wände finden. Er drehte sich, was das Bett mit einem Knarren begleitete. Auf dem Nachttisch lagen seine Schlüssel und das leichte Mondlicht, das zum Fenster herein glänzte ließ sie leuchten. Er fuhr sich durch das lockige, dichte Haar. Schweiß klebte an seinen Fingern wie Schuld und er glaubte noch den Geschmack von Erbrochenem auf der Zunge zu haben. Dann schlief er wieder ein. Sollten sie ihn doch holen!

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Der Morgen brach herein wie ein heißes Eisen, das durch seinen Kopf bohrte und ihn aus den dunklen Tiefen eines traumlosen Schlafes holte. Als er die Augen aufriss, das Entsetzen noch in seinen Gliedern steckte und der Traum noch ihm zur Atemlosigkeit drängte, konnte er nicht wissen, dass das Entsetzen ihm gefolgt war. Sie stand am Ende des Bettes und lächelte. Für den Augenblick, dann war da nur das offene Fenster, und der gleißende, rote Sonnenball des angebrochen morgens. Der Schweiß hing ihm am Leib, und dann kamen wieder die Stimmen zurück, vor denen er aus dem Traum geflüchtet war. Es waren die gleichen Worte, das konnte er nicht leugnen, auch nicht wegblinzeln oder ihnen sonst wie entfliehen. Die Federn des Bettes kratzten rostig, als er aufsprang. Doch Schwindel und Atemlosigkeit ließen ihn zu Boden gehen. Schmerz war die einzige Konstante in diesen Tagen, alles andere nur Chaos. Der Alkohol hatte ihm nicht helfen können. Aber er lernte es ja nie. Er versuchte sich aufzustützen, nur um dem eigenen Gewicht zu erliegen. Die Stimmen in ihm zerrissen jeglichen klaren Gedanken. Da war Geschrei, Angst und Trauer, es gab flehende Worte in allen Formen und zum Schluss, als ihm klar wurde, hörte er das Schreien. Er schüttelte den Kopf, doch es half nichts. Plötzlich läutete es an der Tür. Er lag nur wenige Schritte entfernt in diesem seltsamen Zimmer. Seine Augen wanderten über kahle Wände und nichts ließ erkennen, wo er war. Er hoffte es würde nicht noch schlimmer kommen. Langsam zog er sich am Bett hoch. „Moment!“, krächzte er. Seine Beine drohten jeden Augenblick unter ihm zusammen zu brechen, die Stiefel sandten Schmerzen in die Knochen und wieder läutete es. „Verdammt noch mal! Ich sagte Moment!“, rief er. Das Läuten jedoch verstummte nicht. Als er fast an der Tür war, sich am Bettende abstützte und die Hand schon am Türgriff hatte, erinnerte er sich an das Messer in seinem linken Stiefel. Nun hämmerte es gegen die Tür wie wildes Donnern. „Ja, ja… Gleich!“ Er tastete am linken Jeanshosenbein hinab zum Stiefel, fummelte an der kleinen Schlaufe der Tasche. Schmerz schoss durch seine Glieder und sein Kopf brannte wie Feuer, dass seine Augen kochen lies. Der Schweiß glitt über ihn hinweg wie eine feuchte Schlange. Schließlich hielt er das Messer in der zitternden, rechten Hand. Die Klinge blinkte einen Augenblick. Er konnte die Bartstoppeln an seinem Kinn entdecken. Wieder hatte er die Hand am Griff. Er lehnte an der Wand direkt neben der Tür. In der rechten Hand hielt er das Messer. Das Hämmern verstummte. Er lauschte. Draußen flog irgendwo ein Flugzeug, der Wind schien aufzufrischen und dennoch war er umgeben von Stille, die selbst seine Schmerzen scheinbar verschlang. Er riss die Tür neben sich auf.

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SWEET AMBER (2)

Der weinrote Pickup Truck wirkte wie ein Blutstropfen im heißen Sand. Es war gerade mal kurz nach 9 am Morgen, aber die Hitze bildete schon eine heiße Wand. Sonnenlicht spiegelte über die getönte Panoramascheibe, blitzte im Silber des Kühlergrills. Der Motor war ein dumpfes Grunzen. Die Reifen wirbelten Staub und Dreck nach links und rechts und aus dem Fahrerhaus tönte lautes Gitarrenspiel. Das graue Band des Highways riss durch die Landschaft. Doch die Natur drängte von allen Seiten näher. Hier und da wurde der Asphalt von einer feinen Sandschicht bedeckt. Hinter dem Steuer saß eine Gestalt völlig in schwarz gekleidet. Das Seidenhemd sog das Sonnenlicht in sich auf und dennoch fehlte auf der braunen Haut des Mannes jegliche Spur von Schweiß. Ein verzerrtes Lächeln, geschmückt mit einer Zigarrette im Mundwinkel, ließ das Gesicht in einer Mischung aus Wut und Trauer erscheinen. Die dunkelblauen Augen blickten hinaus, doch nicht auf den Asphalt, sondern in eine Ferne, die jenseits dieser Welt existierte. Die Welt um ihn herum erstrahlte wie ein Gemälde der Einöde, gesprengelt mit der Schönheit eines heißen Sommertages in vollen Farbtönen. Der Himmel war wolkenlos, azurblau und weit. Die Sonne ein gleißendes Licht, das über die Welt wachte und dennoch, als der Pickup den Gipfel einer leichten Hügelkuppe erreichte und das Dorf im Tal sich offenbarte, zog plötzlich ein schwarzer Schatten durch das Bild. Der Fahrer spuckte die Zigarette aus dem Fenster, bremste und beobachtete den einsamen schwarzen Raben am Himmel. "Das wird mich nicht hindern." bemerkte er kalt.
SWEET AMBER (1) (Donnerstag, Juni 08, 2006) - badfingers-words-in-progress.blogspot.de SWEET AMBER (2) (Mittwoch, Juni 14, 2006) - badfingers-words-in-progress.blogspot.de
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Kategorie: Entdeckt
Erstellt von: Badfinger
Veröffentlicht am: Donnerstag, Juni 08, 2006 00:14
Geändert am: Mittwoch, Juni 14, 2006 22:53
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